Fall Nr. 248

 

Ohne Sportsachen

Schlüsselsatz: Hier kann er sich produktiv abreagieren.
Stufe: Sekundarstufe I
Bewegungsfeld: nicht definiert
Textsorte: Didaktischer Text

Fallbeschreibung:

David wurde von zu Hause aus nicht gut unterstützt. Er hatte offensichtlich ADHS, was auf Anraten seines Klassenlehrers von einem Neurologen untersucht und attestiert worden war. Im Klassenzimmer fiel er mehr durch Aggression seinen Klassenkameraden gegenüber und durch seine Arbeitsverweigerung auf als durch produktive Mitarbeit. Hausaufgaben konnte er so gut wie nie machen, da er sie sich fast nie notierte. Und selbst wenn, dann hatte er sie am nächsten Tag garantiert vergessen. Kontrolle oder Hilfe von seinen Eltern (Vater von der Mutter getrennt lebend, Mutter arbeitslos und allein erziehend, 5 Kinder) war nicht zu erwarten. Seine Sportsachen hatte er eigentlich nie dabei. Seine Sportlehrerin mutmaßte, dass er womöglich gar keine besäße. Daher wurden aus dem Fundus der liegen gebliebenen Sportutensilien ein Turnbeutel, Sportschuhe, eine Sporthose und ein T-Shirt zusammengesucht, um diesem Schüler den Sportunterricht zu ermöglichen. Die Schüler brachten ihre Sportsachen immer für den Sportunterricht mit in die Schule. Dies führte manchmal dazu, dass die Turnbeutel zu Hause vergessen wurden. Der für David zusammengestellte Beutel blieb fast immer daheim.
Für die Klasse war klar, wer kein Sportzeug dabei hat, muss die Sportstunde über auf der Bank verbringen und zusehen. Für alle Kinder zählte diese Vorgabe, nur für David nicht. Wenn die Lehrerin ihn auf dem Weg in die Turnhalle fragte, wo seine Sachen seien, antwortete er nur, er habe sie wieder vergessen. Manchmal kam er auch am Anfang der Stunde zu ihr und fragte, ob er auch in seiner Straßenkleidung mitmachen dürfe, da er wieder seine Sportsachen nicht dabei habe. Nach der Kontrolle seiner Straßenschuhe auf Dreck hin wurde er entweder zum Schuhe reinigen vor die Tür geschickt oder durfte so mitmachen wenn die Schuhe halbwegs sauber waren. Seine Klassenkameraden hatten offensichtlich kein Problem mit dieser Sonderbehandlung, hatten sie doch meistens ihre Sachen dabei, und selbst wenn nicht, durften sie genauso wie David meist trotzdem mitmachen.
Auf mein Nachfragen, warum die Lehrerin Regeln aufstelle, ohne sie konsequent zu verfolgen, antwortete sie mit einem leichten Schulterzucken: „Der David hat es so schon schwer genug. Er kann sich zu Hause nicht richtig austoben und hat aufgrund seiner Hyperaktivität auch ohne Sportausschluss schon große Probleme, dem normalen Unterricht im Klassenzimmer zu folgen. Hier kann er sich produktiv abreagieren. Deshalb lasse ich ihn oft auch ohne die geeignete Kleidung mitmachen.“
Einige Ausnahmen haben jedoch diese Regel bestätigt. Manchmal setzte sich David unaufgefordert in eine Ecke der Halle auf eine Bank und schaute seelenruhig dem Unterricht zu ohne zu stören. Auch wenn Unterricht anstand, für den ausschließlich Sportkleidung benutzt werden konnte, z.B. Turnen an den Ringen, bei dem die Schüler mit den Beinen durch die Ringe stiegen, um damit zu schaukeln, ließ ihn die Lehrerin in Jeans nicht mitmachen.