Fall Nr. 454

 

„Wenn sich plötzlich eine unvorhersehbare allgemeine Unlust verbreitet“

Stufe: Sekundarstufe II
Bewegungsfeld: Kämpfen, Ringen, Raufen
Textsorte: Didaktischer Text

Fallbeschreibung:

Die Unterrichtssequenz, die ich im Folgenden skizzieren bzw. zusammenfassen möchte, fand im Rahmen meines ersten Praktikums (P1) an der Allgemeinen Gewerbeschule Basel statt.

Die Beschreibung der Klasse:
Die Klasse, um welche es hier und im Folgenden geht, besteht aus elf jungen Männern und einer jungen Frau zwischen 18 und 20 Jahren, welche im Begriff sind, eine Lehre im Bereich Strassenlogistik zu absolvieren. Die Sportlektion, welche von besonderem Interesse ist und vom Autor erlebt wurde, war die zweite von insgesamt vier Doppellektionen des Praktikums, bei welchem ausschliesslich diese Klasse unterrichtet wurde.
Der Eindruck, den diese Klasse in den vorangegangenen Lektionen (Hospitation und Unterricht) vermittelte, lässt sich grob mit den Worten zusammenfassen: unkompliziert, begeistert, verspielt und laut. Die Stimmung, die grundsätzlich in der besagten Klasse – zumindest während den Sportlektionen – herrschte war nicht nur positiv, sondern von einem allgemeinen Enthusiasmus und von einer ehrlichen Freude an Sport und Bewegung im Allgemeinen geprägt. Auch die vermeintlich diffizile Situation, dass neben elf jungen Männern nur eine Frau in der Klasse ist, erwies sich in keinerlei Form als ein Problem. Das (folgende) Problem entstand folglich – wie aus den bisherigen Beschreibungen hoffentlich ersichtlich wurde – eher überraschend.

Das erlebte Problem:
Nachdem in der ersten Unterrichtseinheit des Praktikums mit Geräteturnen ein eher schwieriges Thema (es ist nicht Fussball!) sehr gut bei der Klasse angekommen war, sollte in der zweiten Praktikumslektion das Thema "Kampfsport" im Zentrum stehen, wobei die zweite Hälfte dieser Lektion für ein Fussballspiel vorgesehen war. Im Gegensatz aber zur Geräteturnen-Lektion, wo alle SuS mit Interesse und Begeisterung dabei waren, konnte ein Grossteil der Klasse nicht für das Thema "Kampfsport" erwärmt werden. Nach einem kurzen, intensiven Aufwärmen sollten die SuS die Möglichkeit erhalten, in (möglichst homogenen) Dreiergruppen verschiedene 1gegen1-Kampfformen ausprobieren zu können (fünf Blöcke à ca. sechs Minuten). Von insgesamt vier Gruppen entstanden allerdings nur bei einer Gruppe richtige Kämpfe, die diesen Namen auch verdienen. Bei dieser Gruppe (bei welcher die betreuende Lehrperson dabei war), wurden intensive und ernste, aber jederzeit faire Kämpfe ausgetragen.
Bei allen anderen Kleingruppen allerdings fanden keine richtigen Kämpfe statt – die SuS sassen nur auf ihren Matten oder ‚blödelten’ herum. Auch nach mehrfachen Ermahnungen durch beide Lehrpersonen verbesserte sich die Situation nicht: Während eine Gruppe ungeachtet des Verhaltens aller anderen Gruppen mit Freude und Lust die verschiedenen Kampfformen ausprobierte, fand auf den anderen drei Matten in der gleichen Zeit kaum ein richtiger Kampf statt.

Speziell bemerkenswert erscheint in dieser Schilderung vor allem die Tatsache, dass es sich bei dieser Klasse um eine Gruppe junger Lehrlinge handelte, die – abgesehen von dieser Situation – äusserst gerne den Sportunterricht besuchte und wenn auch nicht immer mit voller Konzentration, so doch wenigstens mit einem gewissen Grad an Begeisterung in der Halle bei der Sache war.
Abgesehen von dieser Feststellung, die schlussendlich weniger mit einer Frage als vielmehr mit einer Ratlosigkeit verbunden ist, drängen sich verschiedene (weiterführende) Fragen auf:

-Wie ist es zu erklären, dass bei einer Klasse, die sich im Normalfall (oder im Durchschnitt) durch eine starke sportliche Begeisterung und damit verbundene Motivation auszeichnet, plötzlich eine allgemeine Unlust verbreitet?

-Liegt der Grund für das Verhalten der SuS im Umstand, dass bei Kampfformen eine ausgeprägte Form von Körperkontakt notwendig ist?

-Welche Rolle spielt bei diesem Fallbeispiel die Tatsache, dass es sich bei dieser Klasse um eine eher "unruhige" Klasse handelt(e)?

-Ist bzw. war die Ankündigung zu Beginn der Lektion, dass in der zweiten Hälfte Fussball gespielt wird (was eigentlich als Motivation für die Klasse gedacht war), am Ende vielleicht sogar eher kontraproduktiv?