Fall Nr. 205

 

„Wir können aber nicht mehr!“

Schlüsselsatz: „Wir können aber nicht mehr!“
Stufe: nicht definiert
Bewegungsfeld: Im Freien
Disziplin/Sportart: Joggen
Textsorte: Didaktischer Text

Fallbeschreibung:

In meinem Turnverein gibt es eine Mädchenfreizeitgruppe ab 14 Jahren. Seit einer Woche sind zwei erst 13 jährige Mädchen, die eine Erlaubnis der Eltern haben bis 21.30 Uhr mit zu trainieren, dabei.
Die zwei Mädchen sind gut befreundet und kennen den Rest der Gruppe nur flüchtig. Viele der Mädchen sind 2 bis 3 Jahre älter. Alle Übungen machen sie gemeinsam und auch sonst stehen sie immer nebeneinander. Dadurch grenzen sie sich stark von der Gruppe ab.
Da die Halle am Ortsrand liegt, besteht die Möglichkeit auf den umliegenden Feldwegen zu joggen. Zu Beginn gebe ich der Gruppe bekannt, wie das Training aussehen wird. Die Mädchen sollen erst 25 min. joggen und danach Hockey oder Basketball spielen (die Mädchen dürfen wählen).
Alle sind einverstanden und viele waren schon öfters da und zusammen mit der Gruppe joggen.
Die Gruppe teilt sich schnell nach Leistungsstand auf. Da jeder die Strecke kennt, werden mehrere Treffpunkte ausgemacht, bei denen aufeinander gewartet wird und Pause gemacht werden kann. Ich lasse es zu, dass jeder in seinem Tempo bis zu diesen Treffpunkten laufen kann. Ich laufe überwiegend mit den neuen Mädchen im hinteren Teil der Gruppe. Ich merke, dass es den zwei deutlich schwerer fällt, die Strecke zu meistern als den älteren Mädchen. Immer wieder legen sie kurze „Gehphasen“ ein und verlieren so den Anschluss. Da die Halle nun in Sichtweite ist, jogge ich in einem langsamen Tempo und mit größer werdendem Abstand weiter. Die Gruppe ist so gut wie auf der Zielgeraden, als ich das sehe rufe ich von weiten ihnen zu. „Auf geht’s! Gleich geschafft! Noch mal auf die Zähne beißen! Noch mal Gas geben!“ Allerdings rufe ich auch den Mädchen vor mir zu und feuere sie an noch einmal Gas zu geben.
Die zwei reagieren erst einmal nicht darauf. Auf nochmaliges Rufen bekomme ich eine Antwort: „Wir können aber nicht mehr!“
Ich versuche sie erneut anzufeuern und anzuspornen nicht anzuhalten, sondern langsam weiter zu laufen. Da unser Abstand ca. 100 m betrug, wurde unser Dialog überwiegend im Schreien ausgeführt, was den Inhalt und die Aussage meines Gesagten sicherlich auch als Anschreien aussehen ließ. Die Antworten auf meine Zurufe klingen sehr angespannt.
Als ich zurück in der Halle bin, stehen die anderen schon vor der Tür. Die neuen Mädchen trudelten einige Minuten später ein. Als ich sie dann anspreche und sage, dass das für das erste Mal doch ganz gut war und nächstes Mal sicher noch besser klappen wird bekomme ich folgendes als Antwort: „Wir werden hier ja voll gedrillt und sind doch eigentlich zum Spaß da. Wir konnten halt nicht mehr, hast du das nicht gesehen? Und dann schreist du uns so an!“ Die Mädchen laufen nun Richtung Umkleidekabine und wollen gehen.
Noch etwas geschockt, dass die zwei das auf diese Weise empfunden haben, versuche ich zu antworten (das Gespräch findet vor der ganzen Gruppe statt und die anderen hören „gespannt“ und auch überrascht zu): „Momentmal, ich möchte mir von euch nun nicht so einfach unterstellen lassen, dass ich euch gehetzt und gezwungen habe schneller zu machen und besser zu sein. Meine Absicht war es, euch anzuspornen, wie ich es bei den anderen auch gemacht habe. Ich wollte nicht, dass ihr einen Sprint hinlegt, sondern, dass ihr noch mal kämpft und euch danach auch gut fühlt.“
Ich merke, dass die zwei (es spricht immer nur eine) schon genauestens überlegt haben, was sie sagen. Sie wiederholen ihre Argumente von vorhin noch einmal und wollen gehen. Ich weise sie darauf hin, dass sie gehen können, ich es aber schade finde, wenn sie es kommende Woche nicht noch einmal probieren wollen. Mit rotem und wütendem Gesicht verlässt das Duo die Halle. Die anderen Mädchen schauen mich verwundert an. Wir diskutieren noch einmal den Fall zusammen. Ich frage die Mädchen, was sie dabei empfinden, wenn ich ihnen wir zuvor so zurufe. Ich fühlte mich schlecht, dass die zwei gegangen sind und fragte mich, ob ich zu krass reagiert habe.
In der darauffolgenden Woche wartete ich vergebens darauf, dass die zwei es doch noch einmal versuchen würden.