Fall Nr. 573

 

Standweitsprung-Wettkampf oder doch Fussball?

Stufe: Sekundarstufe I
Textsorte: Didaktischer Text

Fallbeschreibung:

10 Uhr, Montagmorgen. Die 33 Schüler/innen kommen langsam in die Halle geschlendert. Es ist eine Sereal-Klasse, ungefähr die Hälfte geht in die Real und die andere in die Sek. Jungen und Mädchen sind gemischt. Theoretisch wären vier Lehrpersonen anwesend: Die Praxislehrperson, eine zweite Lehrperson, mein Tandempartner und ich. Kurz vor der Stunde erfahren wir, dass die zweite Lehrperson krankheitsbedingt fehlt und passen daher die Planung für die Doppelstunde an. Wir teilen die Klasse auf in zwei Gruppen: Die Mädchen gehen mit unserer Praxislehrperson in eine andere Halle zum Spielen, die Jungs bleiben bei meinem Tandempartner und mir und behandeln das Thema «Hochsprung». Nach einer Stunde wird gewechselt.
Die Lektion beginnt. Mein Tandempartner und ich tauschen uns kurz aus. Geplant haben wir nichts, wären wir doch eigentlich als Assistenten da gewesen. Wir starten mit einem «Standweitsprung-Wettkampf» als Einstieg, welcher als Aufwärmen fungieren soll. Es werden zwei Gruppen gebildet, die sich hinter einer Startlinie positionieren. Die ersten beiden Personen führen einen Standweitsprung aus. Person Nummer zwei übernimmt nun, platziert sich am Ort der Landung der ersten Person und führt seinerseits einen Standweitsprung aus. Dann folgt die dritte, vierte, fünfte etc. Person. Ziel ist es, am Schluss eine möglichst lange Distanz absolviert zu haben. Wir beginnen mit dem Wettkampf. Die meisten Schüler verstehen das Prinzip auf Anhieb und setzen es sofort in die Tat um. Zwei Schüler sind überfordert. Wir erklären ihnen die Regeln ein zweites Mal und starten den Wettkampf erneut. Es ergibt sich das gleiche Bild: Alle bis auf dieselben zwei Schüler führen die Sprünge aus. Jetzt beginnen auch die Mitschüler den beiden die Regeln zu erklären. Es wird immer deutlicher, dass sie die Regeln nicht verstehen wollen (sie stellen sich absichtlich ungeschickt an etc.). Ihr Verhalten nimmt je länger je mehr die Form einer kompletten Arbeitsverweigerung an. Meinem Tandempartner und mir wird bewusst, dass wir langsam aber sicher beginnen, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Wir tauschen uns kurz aus und entschliessen uns schliesslich, unsere «Planung» zu verwerfen, da wir uns im Moment nicht vorstellen können, mit diesen Schülern das Thema Hochsprung zu behandeln. Wir entschliessen uns, auf zwei Schwedenkasten Fussball zu spielen. Denn aus eigener Erfahrung wissen wir, wie motivierend Fussball wirken kann. Wir bilden drei Teams und wählen den Modus: «Der Gewinner bleibt» (Wechsel nach zwei erzielten Toren). Nach einigen Minuten Spiel realisieren wir, dass die gewünschte Reaktion ausbleibt. Es hatte sich ein unmotiviertes, destruktives Spiel entwickelt. Oft wird der Ball wild und sinnlos durch die Halle gekickt. Es betrifft zu Beginn wiederum nur die beiden gleichen Schüler, doch ihr Verhalten beginnt sich, je länger das Spiel dauert auf den Rest auszuwirken. Es liegt eine aggressive Stimmung in der Luft. Mein Tandempartner und ich sind ratlos und mit der Situation überfordert. Dieses destruktive, gleichgültige Verhalten sind wir uns, auch aus Erfahrungen der eigenen Schulzeit, nicht gewohnt. Wenn wir sie nicht für Fussball motivieren können, wie sollen wir sie dann für Hochsprung motivieren? Wir entschliessen uns schlussendlich, das Spiel abzubrechen und die Klasse aufzuteilen, in jene, die grundsätzlich Motivation für Hochsprung zeigen und die anderen, die «Destruktiven». Ich übernehme die «Motivierten» und erkläre ihnen in der einen Hallenhälfte bei der aufgebauten Hochsprunganlage die korrekte Schrittfolge für den Anlauf zum Fosbury-Flop («Am- ster-dam»). Mein Tandempartner ist in dieser Zeit bei der anderen Gruppe, die in der anderen Hallenhälfte weiterhin Fussball spielen. Wir werden jedoch ständig durch Bälle, Rufe usw. abgelenkt und gestört. Auch hier war konzentriertes Arbeiten praktisch unmöglich.